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Transformation subtiler Bildfigur –
Zur subjektiven Auslegung der abstrakten Form im Werk von Heike Mack

Die von ihren Verfechtern als Befreiung charakterisierte Loslösung von abbildender Gegenständlichkeit in der Malerei, durchläuft im 20. Jahrhundert unterschiedliche Phasen.
In ihren Anfängen finden sich Versuche, die Bezüge zur visuell dinghaften Welt nicht ganz aufzugeben, sondern sie in lyrisch-spielerischer Weise in das gebildete abstrakte Zeichensystem einzubauen, wie bei Kandinsky und Klee.

Die begriffliche Ambivalenz der Bezeichnung „Abstrakt“, jenes Changieren zwischen einer strengen, auf radikale Bildautonomie zielenden Abstraktion, die von allem Abbildenden entzogen ist, und einer Kunst, die die Objekte der Gegenstandswelt lediglich bis ins Zeichenhafte abstrahiert, scheint in der Gegenwartskunst kein diskussionswürdiges Thema mehr zu sein. In der Nachfolge der Postmoderne haben sich konzeptuelle, historisch-analytische und strategische Arbeitsweisen etabliert, die mit dem Formenrepertoire abstrakter Kunst unbefangen und unbelastet umgehen.

Die Bilder von Heike Mack können dem zugerechnet werden. Sie sind im kunsthistorischen Sinne nicht „konkret“ oder gar „suprematistisch“, da auf stark geometrische Figurationen weitestgehend verzichtet wird. Eher klingt in ihnen das Werk amerikanischer Künstler wie Mark Rothko und Ellsworth Kelly nach, die in wichtigen Werkphasen im Kontext des Abstrakten Expressionismus der Zeit um 1950 beheimatet waren. Beide Namen fallen, wenn Heike Mack nach persönlichen Präferenzen in der Kunstwelt befragt wird, ebenso wie Barnett Newman, Ad Reinhardt und Josef Albers. Letztgenannte verweisen auf eine intellektuell-analytische Herangehensweise, insbesondere zu finden bei Sol Lewitt, ein weiterer Favorit der Künstlerin. Die in den Bildern von Heike Mack wahrnehmbare Reduktion auf einfache, „minimale“ Strukturen (und Figuren) betrifft jedoch nicht nur die autonom-abstrakte Bildgestalt, sondern auch die reliefartige Materialhaftigkeit, die Textur der Oberfläche der Malereien. Die Künstlerin setzt hierbei auf die spannungsgebende Dialektik in der Wechselwirkung zwischen organisch-fleckenhaften und/oder flächig-teilenden Figuren und Feldern – und der Art und Weise wie diese mittels Spachtel oder deutlich erkennbarem Pinselstrich von ihr neben- oder übereinander gesetzt sind. Das Setzen von Strukturen, als Abgrenzung mittels unterschiedlicher Farbwerte oder als Schichtung von Farbsubstanz-Ebenen, geschieht dabei scheinbar spielerisch und unter Verzicht auf dogmatische Versuche einer Objektivierung. Vergleichbar mit den Linienbildern der amerikanischen Künstlerin Agnes Martin, die mit grundlegenden sequentiellen Strichen, mit Gittern und Linienrastern arbeitete, diese jedoch von Hand ausführte, quasi „handschriftlich“, entsteht eine subjektive Interpretation der abstrakten Form im praktischen Malprozess.

Die reliefartige Materialhaftigkeit von Heike Macks Bildern verleugnet dabei keinesfalls Bezüge zu Künstlern wie  Antoni Tàpies, zu ihrem Verständnis ist jedoch eine weitere Komponente unerlässlich: die Verwendung und Thematisierung dezenter Farbklänge, die auf der Mischung mit Weiß beruhen oder der Einbeziehung von Variationen von Weißtönen im Farbauftrag, in der Farbsubstanz und den Farbschichtungen. Hier wird Farbe als materialisiertes Phänomen von Lichtwirkungen geradezu körperlich erlebbar.

Der amerikanische Maler Robert Ryman erläuterte in Bezug auf die eigene Form der Bildfindung „there is never a question of what to paint, but only how to paint“. In diesem Zitat und im Hinblick auf die gleichermaßen pur reduzierte Arbeit mit weißen, beinahe ausgeblichenen Kolorit-Setzungen, spürt man eine Verwandtschaft zur künstlerischen Haltung Heike Macks.

Hier bewegt sich die Künstlerin souverän zwischen Werken von Künstlerpersönlichkeiten wie der des 1903 geborenen Italieners Antonio Calderara und  der des  1945 in Irland geborenen Amerikaners Sean Scully oder den oben genannten Malern, wobei das ganz Eigene der Bildvorstellungen Heike Macks klar dominiert.

Mit einem früh im Hochschulbereich und auf Studienreisen im Ausland geschulten Blick steckte Heike Mack ein künstlerisches Arbeitsfeld ab, das der abstrakten “Klassik“ verpflichtet ist und das im permanent reflektierenden Gegenwartsbezug von der Künstlerin erweitert wird. Vom Abstrakten Expressionismus inspiriert , d.h. von einer gestischen Vorgehensweise, die die Bewegung der pinselführenden Hand auf der Leinwand erkennen lässt und die in der damaligen Rezeption als besonders „malerisch“ wahrgenommen wurde, führte der Weg zu einer mehr analytisch-konzeptuellen „nachmalerischen“ Kunst der Abstraktion, zur amerikanischen „Post-Painterly Abstraction“ (ab Mitte der 1960er Jahre) mit Protagonisten wie z.B. Morris Louis und Kenneth Noland. Bezüge zur letztgenannten Richtung und ihren Ausläufern finden sich gerade auch in jenen Bildern Heike Macks, die auf der Verwendung von korrespondierenden unterschiedlich farbigen Flächen beruhen. Verweise zur Arbeit von Frank Stella lassen sich dort finden, wo die Künstlerin mit ungewöhnlichen Bildformaten experimentiert, wobei sie diesen Ansatz versuchsweise bis zum Verzicht auf Keilrahmen und Leinwandunterkonstruktion eigenständig weiterführt.

Alle dogmatischen Faktoren, die den oben erwähnten klassischen Gattungen anhafteten, und die die Diskussion speziell im Deutschland in den Jahrzehnten der Nachkriegszeit bestimmten, als die künstlerische Abstraktion, die „Ungegenständlichkeit“, als entschiedene Gegenposition zum vorangegangenen ideologischen Missbrauch realistischer Malerei galt, sind längst obsolet. Neuere Generationen „abstrakter“ Malerinnen und Maler arbeiten in gewollter Abkehr von Abbildhaftigkeit und erzählerischer Inhaltlichkeit in einer selbstbestimmten künstlerischen Freiheit, die lediglich von den Regeln des Kunstmarktes eingeengt wird.

Heike Macks fortgesetzte Transformation subtiler Bildfigur wird begleitet von einer Rezeption des eigenen Schaffens, das in Bezug auf Kompromisslosigkeit und Radikalität schwer zu übertreffen ist:
So als stünden sämtliche künstlerische Ausformungen eigener Ideen zeitlos in der eigenen Wahrnehmung wie auf einer großen Palette permanent zur Verfügung, so wird das über Jahrzehnte entstandene Werk dokumentiert und vorgestellt, in versachlichten Kategorien geordnet („Cat 01″ f.f.), ohne Titel und Jahreszahl. Voller Präsenz und Unmittelbarkeit präsentiert sich dergestalt auch auf  dokumentarischer Ebene eine Malerei, die einerseits analytisch und andererseits ungezwungen erscheint, im Sinne einer Kunst, die betrieben wird als „ein Spiel, das Ernst macht“, wie es der Berliner Kunsthistoriker Eberhard Roters in anderem Zusammenhang treffend formulierte. Wer die Bilder von Heike Mack noch nicht kennt, dem wird auf ihrer Website ebenso treffend empfohlen „DISCOVER“ …

Manfred Miersch, 2015